Prolog: Geistliche Lyrik



Warum schreibt jemand geistliche Lyrik?

  Primär wohl um seinem inneren Erleben Ausdruck zu verleihen.
Das Mittel dazu sind Worte, Gebete, Fragen, geschriene Zweifel, lauteres Lob.
Alles ist zulässig, solange es das Kriterium der "Echtheit" erfüllt.
Nie ist Lyrik vollkommen, immer nur Stückwerk, vergeblicher Versuch, das unbegreifliche Wort in Worte zu fassen und sich darin selbst wiederzufinden.
Zweitrangig, aber nicht unwichtig ist die Form. Alles darf sein – immer mit dem Ziel, den "Sinnkern" des Gesagten wie durch ein Brennglas hin zu verstärken und zu verdeutlichen.
Natürlich lässt sich das Hineinflechten von theologischen Wahrheiten in das Werk nicht verhindern und soll es auch gar nicht. Dabei wird sich der Autor zwangsläufig eines Wortschatzes bedienen, der ihm von seinem Umfeld und seiner Erziehung mit in die Wiege gelegt wurde. Worte werden dabei im Laufe des kreativen Prozesses erweitert, neu geschöpft oder in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt.
Vieles bleibt Experiment, manches entwickelt sich zu einem neuen Weg. Immer aber bleibt das Ziel, dem unbeschreiblichen Geheimnis und damit sich selbst ein Stück näher zu kommen.
Natürlich schreibe ich auch, weil mir, so empfinde ich es zumindest, dazu ein gewisses Talent mit in die Wiege gelegt wurde. Zudem fühlt es sich gut an, komplexe Dinge mit wenigen Worten auf den Punkt zu bringen.
Das beantwortet aber immer noch nicht die Frage, warum ein Schwerpunkt meines Bemühens sich um geistliche Lyrik rankt.

 
Begegnung

  Ich denke, ich hatte Anfang 20 etwas erlebt, was man landläufig in christlichen Kreisen als "Bekehrungserlebnis" bezeichnet.
Als junger Mann durchlebte ich, wie vermutlich andere auch, einige existentielle Krisen. Katholisch aufgewachsen versuchte ich diese, nachdem andere Mittel sich für mich nicht als nachhaltig genug herausgestellt hatten, mit Hilfe der Religion anzugehen bzw. dort Halt und Orientierung zu finden. Das war in meiner Zeit beim Militärdienst. Dort gab es auch einen Kameraden, der streng katholisch war, mir aber dennoch in seiner Haltung sehr imponierte. Seine Missionstätigkeit beschränkte sich nicht nur auf das Reden, sondern er brachte auch "hochexplosive" katholische Literatur mit in die Kaserne. Dazu gehörten z. B. die Lebensgeschichten von Heiligen wie Maria Goretti oder Pater Pio. Die legte er gerne bei den Wachdiensten neben die dort reichlich vorhandenen "Naturdokumentationen in Großbild und Kleinwort".
So war es auch an jenem Abend im Wachdienst im Jahr 1984. Ich saß im Wachhaus und durfte die Zutrittskontrolle zur Kaserne durchführen. Nachdem dort aber bald Langeweile eintrat, griff Mann zu den Heften mit den Naturschönheiten und dann – aus Mangel an Stoff – zu den Heiligenschriften. Irgendwie muss mich das, was ich da gelesen habe dann innerlich "aufgeschlossen" haben. Jedenfalls hatte dann in der Ruhepause auf der Pritsche das bereits erwähnte Erlebnis. Ich hatte nichts getrunken und war auf keinem Trip. Das Erlebte war weder aufregend mystisch noch besonders geheimnisvoll. Trotzdem war es die intensivste Erfahrung, die ich bis dato und auch bisher gemacht habe. Es war eine Art "überpersonale Präsenz" die den Kern der Seele umströmte, sie wortlos "durcharmte" und ihr damit bekundete: "Ich bin da. Ich liebe dich." Man spürt dann: "Das ist es, wonach ich immer gesucht habe!" Alles drang in einen Augenblick bis auf Grund der Seele, wo es sich dann wie ein Siegel einprägte. Was ich bisher an Christlichem gehört hatte bekam plötzlich Substanz und Sinn und ich wusste instinktiv: "Hier ist Christus am Werk und begegnet seinem in sich selbst verspiegelten Geschöpf."
Das Gefühl der Gegenwärtigkeit hielt in dieser Intensität einige Tage an. Dann verlor es sich wieder und der Alltag begann erneut. Es gilt dann, sich nicht auf der Erfahrung auszuruhen – eher zu lernen in ihr zu ruhen –, ist sie doch in keinster Weise Verdienst, sondern Bestimmung und zugleich Aufgabe.

 
Transformation

  "Wir müssen neu geboren werden", sagt die Schrift. Das ist ein mühevoller
Prozess und dauert ein Leben lang. Gott will zurück haben was ihm gehört, den Seelenkern, unser Herz. Christus schafft in Gott den Raum und die Zeit damit dieses vollzogen werden kann (Joh. 1). Unsere Zustimmung ist erforderlich. Er fordert alles, aber erzwingt nichts. Er wirbt mit der Schönheit des Leben und überlässt die Seele ihrem Eigenwillen und damit der Deutung über sich selbst. Das kann die Hölle sein oder wird zum Inferno für sich und andere.
Transformation meint dabei im Kern, die Deutungshoheit über sich und sein Sein wieder an den eigentlich Schöpfenden zurückzugeben, es zu wagen sich mit dessen Augen zu sehen. Das Erlöst-Sein zuzulassen.
Blaise Pascal schreibt in seinen "Gedanken über die Religion":
"... so lange sie nicht geheilt sind von jenem innern und natürlichen Elend, welches darin besteht, dass sie nicht den Anblick ihrer selbst zu ertragen vermögen..."


  Man soll sein Elend erkennen, seine "In-Sich-Verkrümmtheit" gnadenlos und gnädig zugleich anschauen, es zulassen, nicht davor fliehen, es aushalten und nicht verleugnen. Solches kann nur glaubend geschehen ganz im Hinblick auf den, der uns von Anfang an geliebt hat und sich uns durch die Wirklichkeit schenkt.
Natürlich ist das Erkennen "seines Elends" kein Selbstzweck. Bleibt es dabei, führt es auf Dauer wohl eher in die Depression als in die Freiheit.
Es muss der zweite Schritt gewagt werden: Aus dem Elend heraus den erkennen, der unsere Schwachheit mit unauslöschlicher Liebe erträgt, akzeptiert, sie mit Leben erfüllt und immer noch mehr füllen möchte bis alles Trennende zwischen Schöpfer und Geschöpf aufgehoben ist. Hierfür möchte ich Worte (und Taten) finden, immer wieder Neue und aufs Neue.

  In diesem Sinne hilft mir das Schreiben auch Zugang zu dem zu erhalten, was da "unten" in der Seele gärt und brodelt. Worte, Reime finden einen Weg wie Wasser, um in die Tiefe zu gelangen. Dort aber sollen sie nicht ungehört und wortlos versickern, sondern, Geysiren gleich, wieder hochschlagen erhitzt vom Feuer der je eigenen, inneren Wirklichkeit. Davon dann etwas aufzufangen und niederzuschreiben, ist erfüllend und Sinn stiftend. Schreiben ist damit immer auch Mittel zur Selbst- und Gotteserkenntnis.

  Möge das Geschriebene meinen Lesern etwas mehr den Zugang in die eigene Tiefen erleichtern und die Sehnsucht nach dem je Größeren wecken, der uns in Christus geheimnisvoll und unbeschreiblich liebt.

20.01.2018  ↑    



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